Zu Hause in der klassischen Moderne
Zum Tag
des offenen Denkmals stehen am Wochenende die Türen zu 240
Häusern offen: zum Beispiel in der Siedlung Carl Legien - wie
wohnt es sich dort?
Von Volker Eckert
Was Irma Schütze am meisten stört, sind
die Oberlichter. Innen- und Außenfenster lassen sich nur gemeinsam
kippen, beim Putzen kommt man nicht richtig dazwischen. „Wenn
sie da mal Neue reinmachen würden“, seufzt die 59-jährige
Hausfrau. Die versetzt angeordneten und farbigen Fenster sind aber
eins der Markenzeichen des Hauses und seines Architekten Bruno Taut.
Irma Schütze wohnt in der Siedlung Carl Legien im Prenzlauer
Berg, die Taut 1929 baute. Irma Schütze wohnt in einem Denkmal.
Von Freitag bis Sonntag ist in Berlin wieder Tag des
offenen Denkmals. Schwerpunktthema in diesem Jahr: Wohnen im Denkmal.
100 der 240 Angebote beschäftigen sich mit diesem Thema, vom
umgenutzten Friedhofsgebäude bis zur Zementforschungsanstalt.
Immer öfter erhalten auch Wohnbauten Denkmalschutz.
Ein Beispiel ist die Wohnstadt Carl Legien, entstanden zur Zeit
des Neuen Bauens in den 20er Jahren. In den tristen Mietskasernen
lebten damals viel mehr Menschen, die Hinterhöfe waren größere
Luftschächte. Architekten wie Taut wollten hin zu mehr Sonne,
mehr Luft. Jede Wohnung hat einen Balkon, die meisten Morgen- und
Abendsonne. Jeweils zwei Wohnzeilen umschließen einen langen,
grünen Innenhof. Wie die Bauhausarchitekten verzichtete Taut
auf Stuck und Ornamentik. Anders als diese setzte er aber Akzente
mit kräftigen Farben an Türen, Fenstern und Fassaden.
Sogar die Wände in den Innenräumen wurden
in unterschiedlichen Farben gestrichen. Doreen Märten ist im
Februar mit ihrem Sohn in eine 70-Quadratmeter-Wohnung gezogen.
Sie fand die Originalfarben, als sie eine 70er-Jahre-Blümchentapete
von der Wand riss. Die Wände sahen schlimm aus, mussten neu
gestrichen werden. Die 33-Jährige hat ähnliche, aber etwas
sanftere Töne genommen. Vorher hat sie in einer riesigen Altbauwohnung
gelebt, Kastanienallee. „Der massive Deckenstuck hat mich
irgendwann fast erschlagen“, sagt sie. Die geraden Linien
und die schlichten Türen in ihrer neuen Wohnung mag sie lieber.
Und dass sie einen riesigen Balkon hat, von zwei Räumen aus
zugänglich. 490 Euro zahlt Doreen Märten für die
drei Zimmer mit Zentralheizung.
Seit zwei Jahren wird die gesamte Anlage, über
1100 Wohnungen, schrittweise saniert. Die Denkmalschützer wollen
möglichst nah an den Originalzustand, zumindest von außen.
Bei Irma Schütze werden sie fordern, dass die kleine Küchenkammer
wieder reinkommt, die sie hat entfernen lassen. Ihre modernistische
Strenge werden sie der Wohnung aber nicht wiedergeben, denn Irma
Schütze hat ihr inzwischen ihren eigenen Stempel aufgedrückt:
mit Einbauküche, plüschigen Teppichen und Plastikvertäfelungen
in Holzoptik an der Decke.
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