Volker Eckert


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Auf Straßen zum Erfolg

Wie eine brandenburgische Stadt zum besten ostdeutschen Wirtschaftsstandort wurde

Von Volker Eckert

Ihr jährliches Stadtfest feiern die Ludwigsfelder unter der Autobahn: zwischen den Pfeilern der beiden Brücken, auf denen die A 10 über die Stadt läuft. 5000 Gäste kamen vergangenen Herbst in diese graue Landschaft aus Kies, Verbundpflaster und Beton. Bürgermeister Heinrich Scholl sagt über diesen Ort: „Das ist unser Zentrum.“

Ihr jährliches Stadtfest feiern die Ludwigsfelder unter der Autobahn: zwischen den Pfeilern der beiden Brücken, auf denen die A 10 über die Stadt läuft. 5000 Gäste kamen vergangenen Herbst in diese graue Landschaft aus Kies, Verbundpflaster und Beton. Bürgermeister Heinrich Scholl sagt über diesen Ort: „Das ist unser Zentrum.“

Der südliche Berliner Ring durchschneidet Ludwigsfelde in der Mitte. Die kleine Stadt mit ihren 24000 Einwohnern kann 600 Unternehmen vorweisen. Eines baut und wartet hier Flugzeugtriebwerke, Coca-Cola ist da, Mercedes macht Kleinlaster und Pkw. Jetzt kommt vielleicht Volkswagen und baut sein Vertriebszentrum für die neuen Bundesländer. Ludwigsfelde ist etwas, das es eigentlich gar nicht gibt: eine ostdeutsche Boomtown.

Vor allem dank Ludwigsfelde wurde der brandenburgische Kreis Teltow-Fläming vor kurzem vom Wirtschaftsmagazin „Focus Money“als wirtschaftlich erfolgreichster Kreis in Ostdeutschland ermittelt: hohe Produktivität, viele Investitionen, viele neue Jobs.

Das Fest unter der Autobahn hat sich Bürgermeister Heinrich Scholl ausgedacht. Er ist pragmatisch, er hatte gehört, dass man für Festivals mit Musik Fördergeld vom Land bekommen kann. Die A 10 nennt er „Autobahn Paris-Moskau“. Er meint es liebevoll. Sie ist für ihn aber nur ein Grund von vielen für Ludwigsfeldes Erfolg.

Scholl sitzt in seinem Büro von der Größe eines Konferenzsaals im neu gebauten Rathaus. Er lehnt sich in einen Ledersessel und zählt auf, was Firmen heute alles haben wollen, bevor sie sich irgendwo ansiedeln: „Top-Straßenanbindung mit Abbiegespuren zu ihren Niederlassungen, Bahnanschluss, günstige Strompreise, alle Schulformen für die Kinder der Mitarbeiter, Bibliotheken, Kita-Plätze“. Ludwigsfelde hat ihnen aber noch ein bisschen mehr zu bieten: Sie müssen deutlich weniger Gewerbesteuer zahlen als in den meisten anderen Kommunen. „Deswegen werde ich von anderen Bürgermeistern gescholten“, sagt Scholl. Aber damit komme er zurecht.

SPD-Mann Scholl – grauer Anzug, gestreifte Krawatte in dezenten Bordeaux-Tönen, die grauen Haare kurz und gescheitelt – ging gleich nach der Wende in die Politik, zur gleichen Zeit wie SPD-Landrat Peer Giesicke. Im Sommer 1989 waren sie bei der Gründung der sozialdemokratischen Partei der DDR dabei. Dank guter Zusammenarbeit mit dem Landratsamt kann Ludwigsfelde Interessenten versprechen, dass Baugenehmigungen innerhalb von drei Monaten erteilt werden. Der Firma, die die VW-Niederlassung bauen soll, hat man angeblich sogar zwei Monate zugesagt.

Wer über Ludwigsfeldes Hauptstraße, die Potsdamer, läuft, spürt allerdings wenig vom Aufschwung: rechts und links nüchterne Wohnriegel aus den 30er bis 60er Jahren, der Raum dazwischen so breit, dass sich die zweispurige Straße darin verliert, Geschäfte gibt es kaum. „Es ist schade, dass es hier keinen Stadtkern gibt“, sagt einer der wenigen Passanten. Was daran liegt, dass Ludwigsfelde bis 1936 ein Dorf mit 100 Einwohnern war. Das Wachstum begann, als Daimler ein Flugzeugmotorenwerk auf die grüne Wiese stellte, zu DDR-Zeiten dann wurden hier Lastwagen gebaut. Bis nach Asien hat man sie exportiert, Ludwigsfelde wurde zur wichtigsten Autobauerstadt der DDR. Es wuchs weiter, schnell und auf dem Reißbrett geplant.

Der Mann sagt, er tröstet sich damit, dass er es nicht weit hat nach Berlin und ins Grüne. Außerdem arbeite er in einer Spedition in einem der drei Gewerbeparks von Ludwigsfelde. Und seine Frau bei Mercedes. Das Unternehmen kam nach der Wende hierher zurück, man wusste, dass die Stadt nicht nur günstig gelegen war, sondern auch viele qualifizierte Facharbeiter hatte. Beim untergegangenen DDR-Lkw-Bauer hatten 10000 Menschen gearbeitet.

Auch Hans-Joachim Dombrowski kam Anfang der 90er Jahre her. Seitdem verkauft und repariert er hier Autos von Mercedes. Für Ludwigsfelde habe damals gesprochen, dass die Stadt direkt am Knotenpunkt der Autobahn und der vierspurigen Bundesstraße 101 liegt, die nach Berlin hineinführt und hinunter in den Süden von Teltow-Fläming.

Wichtiger seien aber die Gewerbeparks, denn dort sitzen Dombrowskis potenzielle Kunden: mittelständische Unternehmer, Speditionen. Dass mit VW vielleicht ein Konkurrent kommt, schreckt ihn nicht: „Da kommen auch Firmen, die das bauen und instandhalten. Und manche von denen werden zu uns kommen.“

Im Rathaus zuständig für Ansiedlungen ist Wilfried Thielicke. Sein Ressort: Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung, wobei die Stadtplanung in Ludwigsfelde vor allem als ökonomische Disziplin gesehen wird. Seit 1990 sind fast alle Straßen erneuert worden, neue Autobahnauffahrten wurden gebaut, zwei neue Gewerbeparks angelegt. Thielicke gerät ins Schwärmen, wenn er zum Beispiel durch den Brandenburg-Park fährt, eine weitläufige Grünfläche, auf der sich die üblichen quaderförmigen Bauten wie hingewürfelt verteilen. Für Thielicke – Schnauzer, Jeans, Cordsakko – ist es „einer der schönsten Gewerbeparks von Europa“.

Als Nächstes sollte Möbel-Kraft kommen, sagt er, doch das Geschäft bereite ihm mittlerweile Sorgen. 10000 Quadratmeter Verkaufsfläche wollte die Firma hier im Frühjahr hinstellen. Mittlerweile ginge es ihr aber nicht mehr so gut, ein Teil sei sogar verkauft worden. Wer weiß, muss sich Thielicke zur Abwechslung eben an den kleinen Erfolgen freuen, das könne er auch, sagt er. Vor kurzem sind zwei Frauen arbeitslos geworden, als ein Teppichgeschäft zumachte. Denen hat Thielicke einen kleinen Laden vermittelt. Die beiden betreiben dort jetzt eine Änderungsschneiderei.

(Tagesspiegel vom 13. März 2004) zurück zur Textübersicht