Volker Eckert


Angebot
 
Texte
 
Lektorat
 
Preise
 
Über mich
 
Kontakt


 

Alte Erinnerungen an „Die neuen Leiden des jungen W.“

Das Kultstück wurde nach 31 Jahren wieder im Potsdamer Hans-Otto-Theater aufgeführt – für viele Besucher ein Nostalgietrip

Von Volker Eckert

Gudrun Götze kann sich noch erinnern, wie sie „Die neuen Leiden des jungen W.“ vor über dreißig Jahren gesehen hat. Die Respektlosigkeit der Figur des Edgar hat die pensionierte Hochschulpädagogin damals beeindruckt: „Also, dass der seinem Lehrmeister die Platten auf die Füße geschmissen hat …“, sagt sie kopfschüttelnd. Heute, im Rückblick, empört sie Edgars Frechheit: Man müsse die jungen Leute schon in ihre Schranken weisen.

Am Donnerstagabend sah sich Gudrun Götze das Stück wieder im Potsdamer Hans-Otto-Theater an. 31 Jahre nach der ersten Aufführung hatte dort eine Neuinszenierung des DDR–Kultstücks Premiere. Viele Zuschauer brachten Erinnerungen mit an aufgeregte Lektüren, eigene Jugendkonflikte und längst vergangene Theaterbesuche.

Peter Neumann war 1973 bei der Premiere am Hans-Otto-Theater dabei. Er spielte Edgar Wibeau, die Hauptrolle. Neumann ist ein kleiner Mann mit einem traurigen Blick und einer großen schwarzen Hornbrille auf der Nase. Er erzählt, dass es damals leichter gewesen sein, die Zuschauer zu fesseln: „Nicht zu arbeiten, in einer Laube zu wohnen, das galt damals als kriminell. Das Publikum war viel wacher.“

Das Drama von Ulrich Plenzdorf war in der DDR sehr schnell bekannt. Junge Leute rannten begeistert in die Theater, die es aufführen durften. Die Geschichte erzählt von Edgar Wibeau, der nach einem Streit mit seinem Ausbilder die Lehre abbricht und von zu Hause ausreißt. Er schlüpft in einem Kleingarten in Berlin-Lichtenberg unter und verliebt sich in Charlotte. Doch die ist schon verlobt. Edgar findet in der Laube Goethes „Leiden des jungen Werther“ und entdeckt in der Dreiecksgeschichte seine eigene enttäuschte Liebe wieder. Doch während Goethes Werther sich am Ende umbringt, stirbt Plenzdorfs Edgar an einem Stromschlag.

Gunter Seidler war 15, als er das Buch las, heute ist er 45. Wie Edgar sich gegen die Erwachsenenwelt auflehnt, das fand er schon damals großartig. Ob er ihn als Vorbild betrachtete? Nicht bewusst, sagt Seidler, aber eine Szene aus seiner Azubi-Zeit fällt ihm doch ein. Da stand er verbotenerweise mit einem Mitlehrling allein auf dem Werkshof. Als der Lehrmeister dazukam und sie ermahnte, warf Seidler ihm über die Schulter zu: „Moment, wir sind noch nicht fertig.“

Einer der wenigen Westdeutschen im Hans- Otto-Theater war am Donnerstag Andreas Schmitz (32). Er hat das Buch in der Schule gelesen und machte sich damals zum ersten Mal Gedanken über die DDR und das Eingesperrtsein. Wie das Stück die Probleme junger Leute behandelt, findet Andreas Schmitz noch heute aktuell. Ausreißen wie Edgar, das wäre für ihn aber nie infrage gekommen, sagt er und lacht: „Ich war damals schon konservativ.“

Nächste Vorstellungen am 11.,12. und 28. Februar jeweils um 19.30 Uhr, Hans-Otto-Theater, Am Alten Markt; Karten unter Tel. (0331) 98118.

(Tagesspiegel vom 7. Februar 2004) zurück zur Textübersicht