Der gnadenlose Eierdieb hofft auf
Milde
Ex-Lehrer
plünderte hunderte Vogelnester teilweise bedrohter Arten –
aus Leidenschaft
Von Volker Eckert
Döberitz - Wenn man Joachim K. ganz seriös,
mit Krawatte und Jackett, auf der Anklagebank sitzen sieht, kann
man sich kaum vorstellen, dass der 61-jährige ehemalige Lehrer
auf Strommasten geklettert ist. Aber um an die Eier von Fischadlern
zu kommen, war K. zu einigem bereit. Auf dem Weg nach oben hatte
er rötlich angemalte Hühnereier in der Tasche: Attrappen,
die verhindern sollten, dass die Eltern nach dem Raub der Brut den
Hort verlassen. In der Wohnung des Angeklagten fand die Polizei
Steigeisen, weshalb der Staatsanwalt daran glaubt, dass K. tatsächlich
selbst auf über 20 Meter hohe Bäume geklettert ist, um
an die begehrten Sammelobjekte zu kommen. Ungefähr 7 200 Eier
fanden die Beamten in seiner Wohnung in Döberitz. Sie stammten
überwiegend von geschützten, teilweise sogar von akut
vom Aussterben bedrohten Vogelarten wie dem Wanderfalken, den es
in Ostdeutschland inzwischen nicht mehr gibt.
Seit gestern läuft am Potsdamer Landgericht der
Prozess gegen Joachim K. Über 100 Fälle von Nestraub und
Tauschhandel in der Zeit von 1991 bis 1999 werden dem Angeklagten
vorgeworfen. Seine Leidenschaft für das Sammeln und für
Vögel sei schon in der Schulzeit erwacht, gab Joachim K. gestern
zu Protokoll. In den 70er Jahren lernte er dann den bekannten Ornithologen
Dr. Wolfgang Makatsch kennen, der ihm den Kauf seiner ersten Sammlung
ermöglichte. Irgendwann verlor K. die Kontrolle über seine
Leidenschaft. Und wurde kriminell. Im Frühjahr und Herbst durchstreifte
er immer wieder die Wälder im Westhavelland, auch von Reisen
nach Spanien und auf die Kanaren brachte er Trophäen mit. Fasziniert
habe ihn die „Vielfalt der Farben und Formen", so der
Angeklagte. Dabei waren die seltenen Arten sehr viel interessanter
als die „banalen", wie Joachim K. sie gestern selber
mehrmals nannte. Keinesfalls habe er wahllos mitgenommen, was er
kriegen konnte. Auch in Naturschutzgebieten war er unterwegs. Da
K. angeblich viele Arten am Gesang erkennen kann, wählte er
die Nester gezielt aus: Nachtigallen, Kraniche, Spechte, Falken,
Milane.
Vier Jahre sind seit der Festnahme von K. vergangen.
Auf seine Spur waren die Ermittler durch Hinweise von Umweltschützern
gekommen. Weil das Gericht so lange bis zur Anklageerhebung gebraucht
hat und der Angeklagte im Sommer 1999 zwei Monate in Untersuchungshaft
saß, kann er nun auf Milde hoffen. Zwei Jahre auf Bewährung
bot der Richter in einer zu Beginn verlesenen Erklärung an
– vorausgesetzt K. kooperiert bei der Aufarbeitung der Taten.
Da die Ermittler keine ausführliche Dokumentation von K.s Sammlung
fanden, sind sie dabei auf seine Hilfe angewiesen.
K. war Teil eines Netzes von Nesträubern und
Sammlern, die untereinander intensiv tauschten. Einer von ihnen
ist bereits zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden.
Von ihm hat K. nach eigener Darstellung auch den Rat bekommen, Eierfunde
um viele Jahre vorzudatieren, um sein strafbares Handeln zu verschleiern.
Fall für Fall begann Richter Theis gestern mit Joachim K. seine
Diebeszüge aufzuarbeiten.
An vieles konnte der sich nicht mehr erinnern,
aber manchmal schien der Angeklagte wieder ganz in seinem Element.
Und erfüllte die Rolle des Sachverständigen. Zum angeblichen
Raub eines Kranichgeleges an einem 9. Mai sagte er: „Mit meinem
Fachwissen kann ich ihnen versichern: Das ist natürlich viel
zu spät. Da brütet kein Kranich mehr."
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