Volker Eckert


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Ich war zuerst da!

Strategien, Schlagwörter, Sticheleien: Unterwegs mit den Potsdamer OB-Kandidaten Wieland Niekisch, Hans-Jürgen Scharfenberg und Jann Jakobs (17.9.2002)

Von Volker Eckert

Potsdam – Jann Jakobs muss nicht lange überlegen. Ein Babelsberger hat ihn gerade gefragt, was er denn gegen Potsdams Schulden machen wolle – eigentlich eine Standardsituation für einen OB-Kandidaten. Steigende Einnahmen beschwört der SPD-Mann, eine Stärkung der Wirtschaftsförderung und Neuansiedlungen. „Das ist doch einleuchtend?“ fragt er am Ende rhetorisch und lächelt. Ist es aber nicht, zumindest nicht für sein Gegenüber. Der Mann winkt ab: „Das ist doch ziemlich allgemein, die andern sagen das auch.“

Tatsächlich ist nicht bei allen Themen ganz klar, worin sich Jann Jakobs, Hans-Jürgen Scharfenberg (PDS) und Wieland Niekisch (CDU) unterscheiden – die drei Bewerber, die die OB-Wahl unter sich ausmachen werden. Themen besetzen lautet eine Strategie. „Unser Kandidat ist für das Spaßbad“, knurrte vor kurzem ein Stadtverordneter der CDU am Rande einer Wahlkampfveranstaltung. Und jammerte dann wie ein Kind, dem man die Schaufel weggenommen hat. „Das ist doch unser Thema! Der Scharfenberg hat sich da einfach draufgesetzt.“

Acht Themen hat Niekisch für den Wahlkampf präsentiert, alle in einer großformatigen Broschüre zusammengefasst. Mit „Sicherheit und Ordnung“ etwa bewegt er sich auf traditionellem CDU-Terrain. Dagegen ist seine Ankündigung, mehr Kita- und Pflegeplätze zu schaffen, auch ein Schuss vor den Bug des jetzigen Sozialdezernenten Jann Jakobs.

Auswärtsspiel

Inmitten der Plattenbauten auf dem Hans-Busch-Platz tönt gerade der 80er-Jahre-Hit „No tengo dinero“ (Ich habe kein Geld) aus den Lautsprechern, als der CDU-Ortsverein Drewitz-Stern-Kirchsteigfeld einen Infostand auf seinem Kinderfest aufbaut. In der Union spricht man gern von einer Tradition. Es ist das dritte Mal. „Für uns ist das hier kein Heimspiel“, sagt einer aus dem Ortsverein. Gerhard Schröders steigende Umfragewerte in den vergangenen Wochen drücken auf die Stimmung.

Um die Mittagszeit ist der Platz mäßig gefüllt. Niekisch nimmt ein paar Wahlbroschüren in die Hand, verteilt sie. Eine Frau um die 30 bedankt sich, dann beugt sie sich über das Heft, blättert ein bisschen. Sie sieht aus, als hätte sie Angst, dass sie jetzt etwas sagen muss.

Dann kommt Niekisch aber mit einer Anwohnerin ins Gespräch, die sich über die schlechte Ausstattung der Schulen beschwert: „Es fehlt am Notwendigsten.“ Niekisch, selbst Landtagsabgeordneter, macht die Landes-SPD für die Probleme verantwortlich. Dann plädiert er noch für die Einführung von Noten in der ersten Klasse: „Die Kinder lesen die Zeugnisse und fragen, was das denn für eine Note ist.“

Ein arbeitsloser Koch spricht ihn an, in der Reichten eine Bierdose. 39 ist der Mann, vor zwei Jahren bei Mitropa rausgeflogen. Seitdem wartet er darauf, dass ihm das Arbeitsamt eine Weiterbildung vermittelt. Die Konjunktur müsse erst einmal wieder anspringen, sagt Niekisch und dann ermahnt er: „Sie müssen aber auch selber was tun.“

„Was hier früher los war ...“

Hans-Jürgen Scharfenberg fühlt sich in dieser Gegend wohl. Wenngleich der PDS-Mann vor dem Rewe-Markt in der Konrad-Wolf-Allee ein bisschen verloren dasteht – Freitagnachmittag, aber kaum Menschen zu sehen. „Was hier los war, als es den Norma noch gab und das Kirchsteigfeld noch nicht gebaut war“, seufzt Wahlkampfhelfer Ingo Korne. Nach einer halben Stunde kommt der Vorschlag, mal beim Havel-Nuthe-Center vorbeizuschauen. „Was ist denn da für ein Publikum?“, fragt Scharfenberg skeptisch. Dann macht er den Abstecher aber doch, verteilt schnell ein paar Flugblätter, wünscht dabei immer ein schönes Wochenende und geht wieder.

Am selben Abend ist er dann Stargast beim PDS-Jugendsportfest „Red Summer“ auf dem Sportplatz Am Stern, gleich vor seiner Haustür. Es hat hier einen Kurz-Triathlon und ein Fußballturnier gegeben, der Kandidat macht die Siegerehrung, überreicht kleine Pokale an ein paar verschwitzte Jugendliche, die abgekämpft auf die Bühne trotten. Schnell ist die Zeremonie vorüber.

Hinterher steht Scharfenberg gerade ein paar Minuten auf dem Gelände, da ist er schon von zwei Leuten angesprochen worden. Ein etwa 60-Jähriger entschuldigt sich erstmal, dass er schon „zwei Bierchen“ getrunken habe. Er habe schon bei Fortuna gespielt, als die noch Rotation hießen, aber so schlecht sei es dem Verein noch nie gegangen, ereifert er sich. Gleichzeitig werde dem SV Babelsberg das Geld „in den Arsch gesteckt“. Der Mann würde wahrscheinlich jeden wählen, der ihm zusagt, etwas für seine Sportanlage zu tun. Scharfenberg hört sich das an, schlägt vor, nochmal darüber zu reden. Geld sei ja keines da, sagt er hinterher. Und dass die Leute selbst die besten Ideen hätten.

Hans-Jürgen Scharfenberg hat vor ein paar Jahren mal bei einem Medientraining mitgemacht. Viel habe er da aber nicht mitgenommen. Sein Fazit: „Ich brauche das nicht.“ Trotzdem fragen sich manche, ob er in der Lage wäre, eine Stadt wie Potsdam zu vertreten. „Mit dem Repräsentieren, das müsste er erst noch lernen“, sinnierte vor kurzem einer aus seinem Wahlkampfteam, „aber bis jetzt hat er ja auch noch keine Gelegenheit gehabt.“ Scharfenberg dagegen pocht lieber auf zwölf Jahre Erfahrung als Stadtverordneter und auf seine Themen: Spaßbad, Karstadt, Theaterneubau. Und natürlich die Neubaugebiete.

Auch die anderen Kandidaten sind beim Thema Imagefragen und PR-Berater zurückhaltend. Er habe sich mal mit einer Agentur unterhalten, erzählt Niekisch. Die sagten, als Kandidat müsse man sich fragen, was kannst du, was die anderen nicht können.

Jann Jakobs, Kandidat der SPD, trifft sich hin und wieder mit Martin Jeutner, Sprecher des Oberlinhauses. Wenn möglich, auf die Leute zugehen, hat der ihm zum Beispiel geraten. Bei seinem Schlussplädoyer in einer Kandidatenrunde steht Jakobs nicht nur als einziger auf, er stellt sich auch vorn an den Bühnenrand. Als ein Zuschauer Stimmung gegen ihn macht, weil er ja kein Potsdamer sei, sondern in Berlin lebt, lächelt er kurz und antwortet dann in aller Ruhe.

Seine Jahre als Bürgermeister haben bei Jakobs auch rhetorisch Spuren hinterlassen. Seine Argumente haben Anfang und Ende, er versucht, verstanden zu werden. Aber auch die gängigen Floskeln fehlen nicht. „Ich bin der letzte, der nicht ...“ oder „Ich glaube, dass ich bewiesen habe ...“ Gern sagt Jakobs „wir“, wenn er von Erfolgen wie der Ansiedlung von Oracle spricht.

„Endlich mal polarisiert“

Beim Stadtteilfest seiner Partei in Babelsberg zeigt Jakobs sich ungewohnt kämpferisch. Vor der gewogenen Zuhörerschaft redet er gegen Niekischs Rückzug aus der Stadtverordnetenversammlung im vergangenen Jahr und kontert so dessen Slogan „Ich bin da!“ Scharfenberg nennt er gar „einen Spalter“, weil der auf Kosten der Innenstadt mehr Geld in die Plattenbaugebiete pumpen wolle. Für die Rede gibt es prompt Zuspruch von der Basis. „Endlich hast du mal polarisiert“, lobt hinterher ein Genosse.

Ansonsten setzt Jakobs auf die Souveränität des Amtsträgers und nimmt sich Gerhard Schröder zum Vorbild. So wie der Bundeskanzler seit der Flutkatastrophe Solidarität und Aufbruchsstimmung beschwört, lobt Jakobs dieser Tage gern das „tolle Engagement“ der Potsdamer bei der Spendenaktion für die Bad Schandauer Flutopfer. Ansonsten ist Matthias Platzeck sein Bezugspunkt, immer wieder spricht er von Kontinuität. Ein Großplakat zeigt beide gemeinsam. Niekisch dagegen ist auf seinen großformatigen Aufstellern allein zu sehen und will das so verstanden wissen: „Ich fahre nicht im Windschatten.“

Allerdings verzichtet auch er nicht auf prominente Wahlhilfe, vor kurzem war Stoiber da, ein paar Tage später lud sich Niekisch drei CDU-Oberbürgermeister aus Schwerin, Gelsenkirchen und Frankfurt (Oder) ein, so als wolle er den Potsdamern sagen: Schaut her, auch Nicht-Sozialdemokraten können OB werden! Niekisch hält sich an dem Nachmittag ziemlich zurück, überlässt den älteren Honoratioren das Feld. Als er das Wort ergreift, verhaspelt er sich ein paar Mal in Stoiberscher Manier.

Bodenständiger gibt sich Scharfenberg. Zusammen mit seinem Potsdamer Parteifreund Rolf Kutzmutz schaut er nachdenklich von einem Großplakat. Anregung scheint sich der PDS-Mann allerdings von unerwarteter Seite geholt zu haben. Sein Slogan: „Sachlich, kompetent: ein Mann der Tat“ erinnert doch stark an einen anderen Politiker, der sich in diesen Tagen um ein hohes Amt bewirbt: kantig, echt, ein ernster Mann für ernste Zeiten – Edmund Stoiber.

(PNN vom 17. September 2002) zurück zur Textübersicht