Volker Eckert


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Landpartie der Stadt-Partei

Zwei gescheiterte CDU-Lokalpolitiker werben Mitglieder für die Schill-Partei in Brandenburg. Mit diffuser Programmatik versuchen sie von Parteienverdrossenheit und Kriminalitätsängsten zu profitieren

Von Volker Eckert
Ulla Grund hat da etwas falsch verstanden. „Auf den Jacken hatten die Hakenkreuze“, sagt die ältere Dame empört. Schnell wird sie aufgeklärt: „Die waren doch durchgestrichen.“ Grund der Aufregung ist eine Gruppe linker Jugendlicher. Sie haben das erste Informationstreffen der Schill-Partei im „Bernauer Hof“ in Bernau, zehn Kilometer nördlich von Berlin, gestört. Ulla Grund ist mit ihrem Mann da. Sie hat langes blondiertes Haar mit Pony und eine Brille auf mit großen Gläsern. Dass die Linken keine Hakenkreuze auf der Schulter tragen, ist ihr nicht ganz klar gewesen.

Dem Wirt vom „Bernauer Hof“ war das Aufeinandertreffen von links und rechts in seinem Gasthaus nicht geheuer, also hat er einfach die Störer und die Schillianer hinausgeworfen. Die „Informationsveranstaltung“ hat Dirk Weßlau, 39, organisiert und man kann wahrscheinlich nicht einmal sagen, dass er sie sich anders vorgestellt hat. Eine Woche vorher hat er dasselbe nämlich schon in Forst erlebt. Da wurden vielleicht 20 Interessenten von fast 80 Jugendlichen niedergepfiffen, wie in der „Lausitzer Rundschau“ zu lesen war. Auf seiner Homepage feiert Weßlau den Abend trotzdem als Erfolg: „100 Interessenten wollten mehr über die Schill-Partei erfahren“, war anschließend dort zu lesen.

Ich bin doch kein Rechter!
Das Bernauer Info-Treffen findet trotzdem statt, in der Zahnarztpraxis von Dirk Weßlau. Seine Gemeinschaftspraxis befindet sich in einem der gleichförmigen Neubaukomplexe, wie sie in den 90er Jahren rund um Berlin massenweise aus dem Boden gestampft wurden. Hier hat Weßlau ein großzügiges Büro mit Panoramablick. Er ist der Besitzer des gesamten Gebäudes.

Weßlau war bis vor kurzem Fraktionsvorsitzender der CDU Barnim im Kreistag. Zuerst gab er den Posten ab, dann trat er aus der Partei aus. Er wirft ihr „Verkrustungen“ vor und „Ämterschieberei“. Politik soll aber Spaß machen, erzählt Weßlau seinen Zuhörern. Welche Verkrustungen er meint, sagt er aber nicht. Dass er „Gott sei Dank“ beruflich gesichert sei und deswegen nicht auf eine politische Karriere angewiesen, lässt Weßlau gern mal beiläufig fallen.

Einfache Leute haben sich hier versammelt, überwiegend Männer: Handwerker, kleine Selbständige, Verwaltungsangestellte, ein Geschichtslehrer. Viele sehen sich auf der politischen Skala als „konservativ“ und schimpfen gegen „die Roten“. Ein Endvierziger mit Kassengestell und Schnauzbart hat es dagegen offenbar schon mit allen Parteien versucht, bis hin zu den Grünen. Wählen kann man von denen keine mehr, sagt er. In einem dagegen scheinen sich alle einig: Richtig sauer werden sie, wenn sie als „Rechte“ bezeichnet werden.

Der Minister hat nicht mal gedient
Der Filz-Vorwurf an die Etablierten eint alle Protestparteien. Doch wofür soll die Schill-Partei in Brandenburg sonst noch stehen? Wie lassen sich die Probleme des Stadtstaates auf das Flächenland übertragen? „Das Hamburger Programm hat wenig mit uns zu tun“, sagt Weßlau. Die Leute wissen das. Schließlich gibt es in Brandenburg kaum Ausländer, wenig Drogenkriminalität. Trotzdem sind sie beeindruckt vom harten Durchgreifen des gnadenlosen Amtsrichters Ronald Schill.

Ein Mittdreißiger, im Öffentlichen Dienst und nach eigener Aussage seit 13 Jahren nicht befördert, erregt sich über eine Gruppe jugendlicher Straftäter, mit denen sei eine Reise nach Neuseeland gemacht worden. – „Einsperren muss man die“, sagt er. „Beim ersten Mal“, pflichtet ein anderer ihm bei.

Ein junger Mann, Beruf Schornsteinfeger, macht Stimmung gegen das Grundrecht auf Asyl und einen Verteidigungsminister, der „nicht mal gedient hat“. Fazit: „Das kann ja nichts werden.“ Auch über Filz und Korruption klagen viele. Dass Schill nach der Wahl versucht hat, seiner Ex-Freundin einen Senatoren-Posten zuzuschieben, scheint hier niemanden zu stören. Vielleicht haben die Leute das auch schon wieder vergessen. Dirk Weßlau hält sich in diesen Tagen mit politischen Aussagen zurück, auch an diesem Abend. Er trägt eine randlose Brille mit goldenen Bügeln, das Gesicht ist ein bisschen zu braun für die Jahreszeit. Weßlau ist für die gute Stimmung zuständig. Er spricht von dem Landesverband, der bald gegründet werden soll, redet das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt schön. Und freut sich über 250 Brandenburger, die Kontakt nach Hamburg aufgenommen haben, „alles tolle Leute: Professoren, Unternehmer …“

„Landeskoordinator“ für Brandenburg ist Falk Janke, auch ehemals CDU. Anfangs war Schills Ex-Geliebte Katrin Freund für das Bundesland zuständig, gab das aber schnell wieder ab. Also entschied man sich in Hamburg, die Brandenburger selber machen zu lassen. Allerdings erst nach genauer Prüfung. Schon Anfang des Jahres hatten zwei ehemalige Bürgerrechtler in Eisenhüttenstadt versucht, einen ersten Ortsverband zu gründen. Das ging der Zentrale aber zu schnell und zu eigenmächtig. Die beiden wurden zurückgepfiffen.

Weßlau und Janke sind also ein paarmal nach Hamburg gefahren, trafen sich mit dem Ost-Beauftragten Mario Mettbach. Weßlau sagt, er hätte den Job des Landeskoordinators auch übernehmen können, aber er war zu der Zeit noch in der CDU. Zur Rollenverteilung sagt er „Falk Janke ist ein Organisations-Profi, ich bin mehr der Politiker.“

Die beiden kennen sich schon länger. Janke, 39, ist ein Typ, der sich mit „Einen wunderschönen guten Tag“ am Telefon meldet. Er wohnt mit Frau und Kindern bei Seelow kurz vor der polnischen Grenze. Eine „ganz schwere Gegend“, sagt Janke über seine politische Heimat, denn hier wählen viele die PDS. Zur Arbeitet als Vermögensberater fährt er täglich nach Berlin-Lichtenberg. Seine Firma hat einen Flur im dritten Stock eines Plattenbaus, innen vollständig saniert. Die Fenster im Treppenhaus sind aber noch immer auf Kniehöhe.

Gesprächspartner empfängt Janke in einem Besprechungsraum von vielleicht 13 Quadratmetern. Er entschuldigt sich für die Größe. Es dauert eine Weile, bis er eine Steckdose für den Wasserkocher gefunden hat, dann gibt es Kräutertee. Fragt man Janke nach den Zielen der Schill-Partei, sagt er: „Wenn ich Sie da ein bisschen vertrösten darf …“

Ideen hat er aber schon, zum Beispiel, wie man die Arbeitslosenzahlen in Brandenburg runterkriegen kann. Irgendwo in der Nähe von Berlin müsste es schon längst einen Vergnügungspark geben. Aber dann sind da immer die Auflagen von Immissionsschutz und Naturschutz. Oder der Oderbruch: keine Industrie, aber gute Verkehrsanbindung, da könnte man ein Skaterland draus machen.

Das Rentenproblem hätte man schon in den 70er Jahren voraussehen müssen und da investieren, findet Janke, der sich als Sozialpolitiker bezeichnet. Aber damals habe es eben keine „Visionäre“ gegeben. Und heute gibt keiner zu, dass der Karren in den Dreck gefahren ist. Der Arbeitsminister müsse sich hinstellen und sagen: „Ich, Walter Riester, sage euch, es sieht beschissen aus!“ Tut er aber nicht. Mit der Schill-Partei, sagt Falk Janke gern, solle Politik menschlicher werden. Er weiß nur noch nicht genau, wie.

Der fünfte Versuch
Zahnarzt Weßlau sagt von sich, er kenne in Bernau jeden Gullideckel. Doch es hat ihn von der Provinzpolitik weggezogen. Im Oktober trat er gegen den Vorzeige-Ossi Rainer Eppelmann an, es ging um die Direktkandidatur der CDU im Wahlkreis. Janke unterstützte damals nicht Eppelmann aus seinem Kreis Märkisch-Oderland, sondern den aus dem Nachbarkreis: Weßlau. Das nahmen ihm einige aus dem Kreis übel. Hinterher sei er behandelt worden „wie zu DDR-Zeiten“, klagt Janke – „das können Sie ruhig schreiben.“ Genutzt hat es Weßlau nichts, Eppelmann setzte sich durch. Er spricht heute nicht mehr gern über diese Geschichte, will „keine Vermischung von Vergangenheit und Zukunft“.

Ein ehemaliger Parteifreund aus der Barnimer CDU-Spitze sieht in der Niederlage den Grund für Weßlaus Parteiwechsel. „Der hat keine Chance mehr gesehen, weiter zu kommen.“ Weßlau war vorher schon einige Male gescheitert. 1990 trat er für die DSU zu den Volkskammerwahlen an, 1994 versuchte er, für die CDU in den Landtag zu kommen, 1998 wollte er dann zum ersten Mal in den Bundestag – alles ohne Erfolg.

Ein paar Wochen nach der letzten Niederlage nahm Weßlau dann Kontakt nach Hamburg auf. Anfang April ist er der Partei schließlich beigetreten, ein paar Tage nach seinem Austritt aus der CDU. Der Entschluss war schon lange vorher gefallen. „Aber“, sagt Weßlau und lächelt zufrieden, „ich wollte meinen Abgang möglichst öffentlichkeitswirksam inszenieren.“

Nur einmal an diesem Abend in seiner Zahnarztpraxis findet Weßlau klare Worte. Am Thema Ausländer und Kriminalität hat sich eine Diskussion entzündet, als er plötzlich das Wort ergreift und eindringlich warnt: „Mit solchen Sätzen werden wir von den Medien zerrissen.“ Ein älterer Mann, der sonst fast den ganzen Abend schweigt, hat vorgeschlagen, die Spätaussiedler aus dem Osten einfach nach Sibirien in ein Lager zu stecken.


(PNN vom 15. Mai 2002) zurück zur Textübersicht