Nicht alles war Widerstand
Frank
Stern zeigte Schattierungen in der Darstellung von NS-Geschichte
im DEFA-Film
Die ersten Nachkriegsfilme, die das deutsche Publikum
zu sehen bekam, stammten natürlich noch aus Kriegszeiten. Manchmal
wurden einfach Szenen herausgeschnitten, in denen Hitler auftauchte.
Andere Filmer hatten das kommende Ende des 1000-jährigen Reiches
vorhergesehen und schon für das Nachkriegspublikum gedreht.
So waren die Übergänge fließend. Genauso schwer
blieben Abgrenzungen aber auch in den kommenden Jahrzehnten. Prof.
Frank Stern zeigte am Donnerstag Abend in seinem Vortrag über
„real existierende Juden im DEFA-Film“, dass hier durchaus
nicht immer alles allein im Zeichen des staatlich verordneten Antifaschismus
stand.
Im Zentrum für Zeithistorische Forschung widersprach
Stern zu Beginn einem verbreiteten Glauben, dass nämlich in
Deutschland nach dem Krieg erst einmal jahrelang eisiges Schweigen
geherrscht habe. Die Filmemacher befassten sich sehr wohl mit dem
Thema, stellten etwa Fragen nach der Rolle der Wehrmacht, Jahrzehnte
bevor sie in die öffentliche Diskussion kamen. „Der Film
als Kunstform ist den Historikern um 30 Jahre voraus“, bemerkte
Frank Stern vielleicht ein bisschen provokativ. Der 58-Jährige
wurde in Königsberg geboren, studierte an der Berliner FU und
ist heute Direktor des Zentrums für Deutsche Studien an der
Ben-Gurion-Universität im israelischen Beer-Sheva.
Jedenfalls wies er in zahlreichen Beispielen nach,
wie Filme immer wieder neue Fragen an die Vergangenheit stellten,
die über den gesellschaftlichen Konsens hinausblickten. Eine
völlig neue Sicht auf die Deportationszüge etwa zeigte
Kurt Maetzig 1947 in „Ehe im Schatten“. Sie sind hier
nicht etwa vor den Toren von Auschwitz zu sehen, sondern mitten
in Berlin, in einer Fabrik von Siemens mit jüdischen Zwangsarbeitern.
Der Film vermittelt auch eine zentrale Erfahrung der letzten in
Deutschland verbliebenen Juden der späten Kriegsjahre. Der
Bombenterror war für sie eine Chance: auf eine Wohnung, eine
neue Identität.
Auch anhand von späteren Filmen konnte Stern
zeigen: Der Nationalsozialismus diente nicht ausnahmslos als Legitimierung
der DDR. „Rotation“ von Wolfgang Staudte etwa zeigt
den Deutschen, der nichts gegen seine jüdischen Nachbarn hat,
gern hilft. Als das Ehepaar dann aber von der Gestapo abgeholt wird,
steht er am Fenster und zieht den Vorhang zu – Was wusste
man, was hätte man tun können? Die Fragen stellt der Film
am Rande, vier Minuten lang, wie Frank Stern nachgemessen hat. Aber
er stellt sie.
Dagegen widmet sich „Das zweite Gleis“
von Joachim Kunert 1962 den Geschlechterbeziehungen. Eine Frau verlässt
ihren Mann, nachdem der einen Juden erschossen hat. Den hatte eine
Bewohnerin des Hauses im Keller versteckt, bis sie von ihrem Mann
aus Angst verraten wird. „Sowohl die DDR wie die BRD und Österreich
hatten ihre Gründungsmythen, die das Filmschaffen bestimmten“,
fasste Stern zusammen. In Westdeutschland war es der Philosemitismus,
also der Glaube, der Antisemitismus sei mit Hitler ausgelöscht,
in Österreich das Bestehen auf der unschuldigen Opferrolle.
Als Beispiel für eine Störung dieses vermeintlichen
Konsens im Westen nannte Stern „Der schwarze Kies“ von
Helmut Käutner, der das Aufkommen von Antisemitismus in einem
Dorf nach dem Krieg beschreibt. Es gab Proteste, Zensur. Letztere
übrigens auch in andern Filmen, so „Casablanca“,
aus dem bis 1960, so Stern, der Gestapo-Mann herausgeschnitten wurde.
Und auch der Systemvergleich im Film fiel nicht nur
schwarz-weiß aus. „Chronik eines Mordes“ von Jo
Hasler aus dem Jahr 1962 verurteilt zwar die westdeutsche Karriere
eines NS-Verbrechers. Die Tochter von zwei seiner Opfer allerdings
wird freigesprochen, nachdem sie ihn erschießt. Ein versöhnlicher
Ton, wie Frank Stern fand.
Volker Eckert
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