Ladenschluss in Friedrichshain
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Untergang als Szene an der Warschauer Straße im Osten Berlins
Von Volker Eckert
Im weißen Kittel steht Horst Kinder hinter der
Kasse. „Kaffee und Tee“ heißt sein kleiner Laden
und verschweigt damit fast sein gesamtes Angebot. Die alten Holzregale
sind vollgestopft mit Pralinenschachteln, Spirituosen, Wein und
Sekt, Tabakwaren und Schokoladenfiguren, mit kleinen Teddybären
zum Verschenken in durchsichtiger Folie verpackt. Von der Decke
strahlen weiße Neonröhren, draußen hängt ein
Schild mit einer dampfenden Kaffeetasse im Stil der 60er Jahre.
„Kaffee und Tee“ ist ein Überbleibsel
aus DDR-Zeiten, ein Anachronismus. Doch Neues will nicht so recht
nachwachsen in der Warschauer Straße im neuen In-Bezirk Friedrichshain.
Ein Geschäft nach dem anderen hat hier in den vergangenen Jahren
dichtgemacht. Den Einzelhandel, der sich gehalten hat und der neu
hinzugekommen ist, eint lediglich die Untergangsstimmung, viele
Gewerbeflächen stehen mittlerweile leer. Die neue Friedrichshainer
Szene, von Zeitgeistpropheten so häufig beschworen, hat die
Warschauer Straße – von einem CD-Laden abgesehen –
bisher strikt gemieden. Nur einen Häuserblock entfernt, um
die Simon-Dach-Straße, versuchen laufend neu eröffnende
Kneipen vom momentanen Boom zu profitieren. Währenddessen verkommt
die Warschauer zur Durchgangsstraße.
„Das war hier mal eine der bekanntesten Einkaufsstraßen
im Osten“, sagt Michaela Priebe, Verkäuferin in der Bäckerei
Stallkamp. Die Kunden kamen aus ganz Ost-Berlin, das Angebot war
groß. Man bekam eben das, „was es in der DDR so zu kaufen
gab“.
Doch das ist lange her. Mittlerweile spürt die
Bäckerei die Konkurrenz das Brötchenmagnaten Kamps ein
paar Häuser weiter schmerzlich. Die Bäckerei Stallkamp
ist eine von zwei Filialen von Michaela Priebes Chef, in ein paar
Wochen wird sie geschlossen. Ladenschluss auf Friedrichshainisch.
Die Gründe, die von denen genannt werden, die es noch nicht
getroffen hat, sind immer dieselben: Zum einen fehlen die kaufkräftigen
Schichten. Die Arbeitslosigkeit liegt in Friedrichshain bei 17,4
Prozent, das Haushaltseinkommen bei im Schnitt 2400 Mark –
niedriger ist es nur in Kreuzberg, mit dem Friedrichshain bei der
Bezirksreform im kommenden Jahr fusionieren wird. Familien der Mittelschicht,
die es sich leisten können, ziehen ins Umland. Und wer dableibt,
kauft im nahe gelegenen Ring-Center.
Hinzu kommt, dass die Gewerbemieten in den letzten
Jahren rapide gestiegen sind. „Über 50 Mark werden hier
teilweise pro Quadratmeter verlangt, und das für Räume
ohne Warmwasserinstallation“, erregt sich Wolfgang Kloster
von der Interessengemeinschaft Warschauer Straße. In seinem
Laden von modernen Einbauküchen umringt, ein Namenschild an
die Brust geheftet, erklärt der 43-jährige Geschäftsmann
zufrieden, dass er nicht auf Laufkundschaft angewiesen sei. „Viele
Kunden kommen extra aus dem Speckgürtel zu uns.“ Sanierungsgebiet
Warschauer Straße: Das beginnt gegenüber von Klosters
Küchenladen, auf der andern Straßenseite bei Kaiser’s,
und endet an der ehemaligen Stalinallee.
Es ist Samstagmorgen, kaum Betrieb auf den Bürgersteigen.
Viele Geschäfte stehen leer. Und die neu eröffneten bieten
„Alles für 99 Pfennig“ oder Gebrauchtwaren. Wolfgang
Kloster: „Ich sag mal, wie die sich die hohen Mieten leisten
können, weiß ich auch nicht.“ Seiner Interessengemeinschaft
geht es darum, die Attraktivität der Warschauer als Einkaufsstraße
zu steigern. Zweimal im Jahr gibt es ein Straßenfest. Die
Bürgersteige werden mehrmals in der Woche von Hundekot gereinigt,
eine öffentliche Toilette soll installiert werden.
Kloster nennt zahlreiche weitere Beispiel, ist kaum
zu bremsen, doch ob so dem Einzelhandel wieder auf die Beine zu
helfen ist? Schon ein Blick auf die Öffnungszeiten stimmt skeptisch.
Während Einzelhandel und Kaufhäuser an Alex und Potsdamer
Platz ihrer Kundschaft das Grundrecht auf Konsum am liebste zu jeder
Tages- und Nachtzeit gewähren möchten, schließen
hier viele Läden am Samstag schon um 12 Uhr. Andere öffnen
erst gar nicht.
Ein paar Straßen weiter beginnt das Friedrichshain,
das, das der Spiegel kürzlich als „hip“ bezeichnet
hat. Zwischen Warschauer Straße und Ostkreuz, dort wo der
S-Bahn-Ring die Innenstadt von der Peripherie trennt, hatte sich
nach der Wende eine kleine Hausbesetzerszene angesiedelt. Doch fast
alle Häuser wurden bald wieder geräumt, gleichzeitig kamen
reichlich neue Zuwanderer nach Friedrichshain. Weil Wohnungen hier
noch ab vier Mark pro Quadratmeter zu haben waren, kletterte der
Anteil der 18- bis 35-Jährigen im kleinsten Berliner Bezirk
auf über 34 Prozent.
Das Stadtmagazin zitty glaubte deshalb wohl, um die
Simon-Dach-Straße „Die neue Mitte“ ausmachen zu
können, befand aber auch: „Shoppen weiterhin mangelhaft.“
Hanf- und Second-Hand-Läden, Yogi-Snack und zahlreiche Kneipen
haben zwar eine kleine Nische aufgetan. Dennoch: Das Grau der Warschauer
überdeckt den Eindruck vom neuen Trendbezirk. Wer es sich leisten
kann, kauft Obst und Gemüse im Bioladen, der Rest trifft sich
bei Lidl.
Samstag 15 Uhr 20. Der gesetzliche Ladenschluss
naht. Außer den türkischen und asiatischen Obst- und-Gemüse-Läden
hat nur noch der CD-Laden „Mr. Kicks“ offen. Martin
Steinmann, 29 und Rastalockenträger, hat ihn vor zwei Jahren
mit seinem Cousin eröffnet. Sie kommen gerade so über
die Runden. Der Interessengemeinschaft sind sie aber nicht beigetreten.
Mit deren Aktionen könne er nicht viel anfangen, sagt Martin
Steinmann schulterzuckend. Warum? „Zum Beispiel, weil die
hier die Penner von der Straße vertreiben wollen.“
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